Page 137 - 25 Jahre KW Jubiläumsbuch
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werden, bis sie auf der Bühne nichts mehr verderben.
Bei jeder Probe das Gleiche. Ich suchte lüstern den Augenkontakt zum Regisseur. Sein gelang-
weilter Blick machte mich rasend. Kurz vorher hatte er einem Mitspieler„Gut!“ zugerufen. Er
gibt also Lebenszeichen, dachte ich. Aber ich argwöhnte auch, dass Regisseure jeden Verdacht
vermeiden, geliebt zu werden. Sie fürchten vermutlich, ihre Menschlichkeit zu entblößen und
damit ihre tyrannischen Eigenschaften zu verlieren.
Einzige Wohltat war meine Bühnentochter Klärchen. Sie ließ eine Art Zuneigung erkennen. An
ihr fand ich Halt. Aber schon in der ersten Szene wurde ich genötigt, sie einem gewissen Sigis-
mund auszuliefern. Von nun an war ich wieder Bühnen-einsam und blieb verdammt, zwanghaft
den leeren Blick des Regisseurs zu suchen.
So war es. Aber eigentlich und irgendwann war es ganz anders.
Irgendwie scheint mir entgangen zu sein, dass ein Regisseur Instinkt besitzt, aber an unver-
schämter Trägheit leidet Für das Lob ist er zu faul, einen Tadel erstickt er in neuen Ideen, für die
gewünschte Bühnenordnung genügt ein leises Grollen und unliebsame Verfehlungen werden
lächelnd korrigiert.
Aber irgendwann entdeckte ich in seinen sanften Augen eine geradezu lauernde Art, die Selbst-
hilfe seiner Akteure zu prüfen. Plötzlich versagte ich mir, das als Unverschämtheit zu deuten. Er
provozierte offenbar pädagogische Prozesse einer Selbsterlösung. Ich dachte einen Augenblick
an die Berufstheater, bei denen man gelegentlich dressierte Sklavengesellschaften auf der Büh-
ne findet. Doch er, der Regisseur, besitzt die aufmerksame Geduld, das mühselige Aufblühen
seines Schauspielers abzuwarten.
Ich habe den schlafenden Komödianten in mir tatsächlich gesucht und nicht gefunden. Aber
eines Tages war er da. In der wundervollen Bestimmtheit eines Selbsterlebnisses. Schrullig,
weltfremd, versponnen, etwas vertrottelt, ungefährlich und begeistert gebärdete ich mich auf
der Bühne. Ich spielte nicht. Ich habe nur meinem harmlosen Gemüt seine Entfaltung vor dem
Publikum gestattet. Mit der Erleichterung, ein kurioses„Ich“ zu sein. Und er, dieser Regisseur, hat
das alles mit Sicherheit geahnt.
Nur deswegen hat er mich gesucht. Und ließ meine Not so konsequent unbeachtet. Denn das
Gemeinschafts-Erlebnis Bühne und Vorstellung erzwingt nicht nur Begeisterung, sondern Dis-
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